Erdmannen          Rückkehr zu Omas Elternhaus
 
 

Großmutters Geburtsstätte war wieder eines der wichtigsten Ziele unseres Aufenthaltes immerhin wollte auch meine Mutter diesen Ort unbedingt kennenlernen. Insgesamt viermal waren wir diesmal hier, einmal zu zweit und dreimal zusammen mit unseren Verwandten aus Hamburg.

Wie ich schon auf der Seite über unseren Besuch von Omas Elternhaus (diese Bezeichnung klingt etwas seltsam, da ja eigentlich gar kein Haus mehr hier steht) aus dem Jahre 1999 erwähnt habe (dort hatte ich bereits etwas vorgegriffen), war dieses Mal Großmutters jüngerer Halbbruder dabei, der letztmalig 1986, also noch vor der deutschen Wiedervereinigung, hier war und für den dieser Besuch etwas ganz besonderes war, denn er hatte nun im stolzen Alter von 86 Jahren seine Heimat noch einmal wiedergesehen.

Wir hatten also nun jemanden dabei, der hier seine Kindheit verbrachte, und der diese Gegend noch aus einer Zeit kannte, in der all das existierte, was wir uns heute nur in der Fantasie vorstellen können.

Natürlich wollten wir von ihm wissen, wo denn nun was gestanden hatte und wie es hier einst aussah, doch das war schwieriger als gedacht  -  nicht, weil die Erinnerungen fehlten, sondern weil die inzwischen anders verlaufenden Wege ein völlig irritierendes Bild ergaben.

Unsere Hartnäckigkeit ließ uns jedoch immer wieder Einzelheiten aufgreifen, jede noch so unscheinbare Geländemarke nutzten wir als eventuellen Anhaltspunkt und immer wieder konfrontierten wir uns gegenseitig mit Gedanken, Fragen und eigenen Interpretationen, bis wir schließlich ein vollständiges Bild hatten, das wir mit jedem weiteren Suchen nur noch vertieften und festigten  -  wir hatten es also tatsächlich geschafft und hatten nun eine konkrete Vorstellung, von der wir damals im Jahre 1999 noch weit entfernt waren.

Konfrontation mit der Vergangenheit

Die Verbindungsstraße zwischen Erdmannen und Kowallik war ja nun inzwischen asphaltiert worden (damals im Jahre 1999 war auch sie nur ein Sandweg). Von ihr zweigt der hier zu sehende Weg nach Süden ab und führt zur Geburtsstätte meiner Großmutter. Auf den beiden Fotos (oben) sind wir diesen Weg bereits bis zur ersten Biegung hinein gefahren und werfen einen Blick in die entgegengesetzte Richtung, also zurück zum Dorf Erdmannen.

Der hier voll in Blüte stehende Birnbaum hat bereits damals existiert, ihn hatte also schon meine Großmutter kennengelernt und sicherlich auch von den Früchten gegessen.

Mein Großonkel wusste zu berichten, dass sich damals hier am Wegrand, wo der Birnbaum steht, im Winter hohe Schneewehen auftürmten, die den Weg unpassierbar machten. Sie als Kinder mussten dann immer einen anderen Weg durch die Wiesen (damals Felder) einschlagen, um ins Dorf zur Schule zu gelangen.

Verträumt liegt das Dorf am Ende der Wiesen.

Weiter führt der Weg in Richtung der ehemaligen fünf Ausbauten, wobei er in diesem Bereich noch seinen originalen Verlauf hat. Erst in Höhe des ersten Gehöfts knickt er heute nach rechts ab und verläuft ein Stück weit identisch mit der einstigen Zufahrt zum Bauernhof. Diese langen Zufahrten waren damals typisch. Dann macht er wieder einen Bogen nach links und führt unmittelbar am ehemaligen Bauernhof der Familie Bublitz vorbei, was damals eben nicht der Fall war und uns jetzt zunächst irritierte, bis wir die Sache klären konnten.

Dort, wo dieser Weg in der Verlängerung seinen ursprünglichen Verlauf hatte, kann man ihn heute noch schemenhaft erkennen.

Wir werfen wieder einen Blick nach links in Richtung Dorf, zwischen den Wiesen gibt es auch einzelne Abschnitte, die beackert werden, die Erde hat z.T. eine auffallend rötliche Farbe.

Dort, wo heute der ursprüngliche Verlauf des Weges endet, beginnt der Wald, also jenes Stück Kiefernheide, das man nach dem Krieg aufforstete. Früher waren das die landwirtschaftlichen Flächen der jeweiligen Bauerngehöfte.

Hier in der Nähe, unmittelbar an der alten Zufahrt zum ersten der ehemaligen Gehöfte fanden wir bei unserem letzten Besuch, bei dem ich mir wieder (wie schon damals) einige Pflanzen zur Erinnerung mitnahm (s.u.), einen originalen Grenzstein  -  schade nur, dass ich nicht fotografierte, denn beim nächsten Besuch im Jahre 2014 konnte ich ihn nicht wiederfinden.

Was am meisten irritierte, war der zweite Weg, der direkt am Grundstück abzweigte und hinunter zum Kanal führte. Er sieht heute aus wie ein Grenzweg zwischen zwei Grundstücken und tatsächlich gab es solche Wege, doch damals verliefen sie in einem ganz anderen Winkel  -  dieser hier ist also in späteren Jahren (nach dem Krieg) völlig neu entstanden.

Wir werfen auf dem Bild oben einen Blick zurück, also in Richtung Norden. Damals (1999) dachten wir, mit diesem Weg die Grundstücksgrenze gefunden zu haben, doch diese Vorstellung mussten wir diesmal korrigieren.

Auch diese Brücke  -  oder besser: Überführung  -  mit integrierter Stauvorrichtung ist später entstanden, irgendwann in der Zeit nach dem Krieg.

Der ursprüngliche Grenzweg zwischen den beiden Bauernwirtschaften Maier und Bublitz traf rund 100 m weiter östlich und zudem schräg auf den Kanal, und die Brücke, die ihn dort überquerte, ist heute nur noch rudimentär vorhanden (siehe folgendes Bild), war aber für uns ein wichtiges Indiz für unser Puzzle  -  Ahnenforschung kann außerordentlich spannend sein!

© 2010 Marco Just   ❘  Alle Rechte vorbehalten.

Zu guter Letzt entschlossen wir uns (wie bereits weiter oben erwähnt), am letzten gemeinsamen Tag in Masuren noch einmal hierher zu fahren, um ein kleines Andenken in Form von zwei jungen Fliederbäumchen und einer Astilbe auf dem alten Grundstück auszugraben und mit nach Hause zu nehmen.

Bei dieser Aktion fanden wir auf dem Rückweg (etwa dort, wo wir uns gerade auf dem Bild befinden) den besagten Grenzstein direkt am Wegrand - ein schöner Abschluss des Ausflugs und eine abgerundete, zur Vollendung gebrachte Reise in die eigene Geschichte.

Den Blick über das einstige Eigentum schweifen lassen und dabei in Erinnerungen schwelgen - so etwas ist immer ein sehr ergreifender Moment.

Wehmütig denkt Onkel Ernst an die schöne Zeit in der alten Heimat.